Sprach- und Integrationsmittler für die Diakonie? Ein Interview mit Nikolaus Immer

Nikolaus Immer ist Leiter des Geschäftsbereiches Soziales und Integration beim größten regionalen kirchlichen Sozialverband Deutschlands, dem Verein Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. In den Einrichtungen der Vereinsmitglieder sind mehr als 135.000 Menschen hauptberuflich in allen Zweigen der sozialen Arbeit, der Pflege und des Gesundheitswesens beschäftigt. Der 57-jährige Sozialwissenschaftler ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Herr Immer, könnten Sie kurz Ihren Arbeitsbereich skizzieren?

Wir sind dazu da, die Mitgliedseinrichtungen und Projekte zu unterstützen, zu fördern und zu beraten. Im Bereich Soziales und Integration kommt eine ganze Reihe Beratungsleistungen zusammen: Es geht um Lebenssituationen wie Arbeitslosigkeit, Migration, Schuldner-, Suchtberatung und vieles mehr.

Sie haben also einen guten Überblick über Einrichtungen und Projekte sowohl im sozialen Bereich als auch im Bereich Migration und Integration?

Ja, das kann man so sagen.

Gab es in der Vergangenheit ein Schlüsselerlebnis oder eine Situation, in der Sie gedacht haben: Hier hätte man einen Sprach- und Integrationsmittler gut gebrauchen können?

Kein einzelnes Erlebnis, aber häufiger Situationen in denen eine Mittlerrolle, eine Übersetzerrolle notwendig gewesen wäre – weniger sprachlich sondern vor allem kulturell gesehen. Es gibt dieses Gefühl einer Lücke in der Versorgung, das zieht sich quer durch alle Arbeitsbereiche, in Altenheimen wie in der Jugendhilfe, bei sozialen Hilfen, bei Hartz IV.

Welchen Nutzen haben Ihrer Meinung nach Einrichtungen der Diakonie von der Sprach- und Integrationsmittlung?

Der Nutzen würde darin liegen, zu erfahren wie „kundenorientierte“ Dienstleistungen angeboten werden. Den Kundenbegriff darf man hier allerdings nicht im Sinne von „Käufer“ verstehen. Es geht darum, die Menschen, die Rat und Hilfe suchen, gezielt ansprechen zu können und ihnen gezielt mit Angeboten der Diakonie entgegen zu kommen.

Die Sprach- und Integrationsmittler sollten, wo es geht, in guter Abstimmung mit den Fachkräften der Migrationsdienste eingesetzt werden.  So ermöglichen sie zum Beispiel noch bessere niederschwellige Zugänge zu den Migrantinnen und Migranten. Darüber hinaus stärkt die Tätigkeit der Sprach- und Integrationsmittler auch diese selbst: Sie erleben, wie ihre, durch die Qualifizierung erworbenen Kompetenzen zur Unterstützung Anderer im Rahmen einer interkulturellen Kommunikation genutzt werden.


„Gemessen an den langjährigen Erfahrungen müssten wir eigentlich in der Integration weiter sein.“

Welchen Beitrag kann die professionelle Sprach- und Integrationsmittlung zum großen gesellschaftlichen Thema Integration leisten?

Ich denke, dass der Beitrag gewichtig ist. Wir müssen feststellen, dass wir seit langem faktisch Einwanderungsland sind. Gemessen an den langjährigen Erfahrungen müssten wir eigentlich in der Integration weiter sein. Es gibt aber immer noch von beiden Seiten falsche Erwartungen, Missverständnisse. Übersetzungsarbeit ist notwendig. Da können Sprach- und Integrationsmittler  einen Part einnehmen, um den Zugang zu erleichtern, und zwar in beide Richtungen.

Ein Beispiel: Wir stellen fest, dass wir im Bereich Hartz IV zu wenig Ratsuchende mit Migrationshintergrund haben, obwohl diese unter den Empfängern von Arbeitslosengeld 2 überrepräsentiert sind. Offenbar besteht eine Barriere.

Die Qualifizierung baut auf vorhandene Ressourcen der Migranten auf – wie z.B. ihre Sprachkenntnisse und die Erfahrung, in mehreren Kulturen gelebt zu haben. Ist dieses Wissen bei den deutschen Einrichtungen überhaupt gefragt?

Da würde ich sagen: noch nicht genug. Es ist nicht so, dass sie es nicht wissen oder merken, aber daran wird man noch mehr arbeiten müssen, den deutschen Einrichtungen das näher zu bringen. Es gibt auch Unterschiede, je nach Einsatzgebiet besteht größerer oder geringerer Handlungsdruck. Kindergärten mit ihrem meist hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund sind schon recht weit, in anderen Bereichen besteht noch Bedarf.

Ich will kleines Beispiel nennen: Unsere Landeskirche hat vor ein paar Jahren eine Broschüre aufgelegt für Krankenpflege- und ärztliches Personal in Krankenhäusern. Es ging um Informationen über religiöse Vorstellungen von Patienten, sehr praxisorientiert von Essensvorschriften bis hin zum kulturellen Umgang mit dem Tod. Sie hat reißenden Absatz gefunden. Das hat mir gezeigt, wie wichtig diese Informationen für die Arbeit vor Ort sind.

Noch besser wäre es nun, wenn neben solchen wichtigen schriftlichen Informationen auch über den direkten zwischenmenschlichen Kontakt,  über die „Brücke“ der Sprach- und Integrationsmittler, die interkulturelle Verständigung beidseitig noch intensiver gefördert wird.


„Wir sind auf dem Weg, dieses Berufsbild zu verankern.“ 


Was würden Sie einem Migranten sagen, der sich gerade dazu entschlossen hat, professioneller Sprach- und Integrationsmittler zu werden?

Ich würde ihm gratulieren und ihm viel Glück wünschen. Wir sind auf dem Weg, dieses Berufsbild zu verankern. Migrantinnen und Migranten können als Sprach- und Integrationsmittler vorhandene Fähigkeiten einsetzen, die anderswo auf dem Arbeitsmarkt nicht gefragt oder nicht anerkannt werden. Das Problem der nicht anerkannten Abschlüsse wird inzwischen auch von Seiten der Politik angepackt, aber es gibt noch viel zu tun.

Zum Schluss: Wo sehen Sie den größten Informations- oder Handlungsbedarf?

Für die Etablierung des Berufsbildes muss noch einiges getan werden. Wir müssen eine offene Diskussion über die Frage führen: Welche Aufgaben müssen wir anpacken, um Integration zu erreichen?

Zum Beispiel brauchen wir mehr Transparenz hinsichtlich des konkret nutzbaren Aufgabenspektrums. Um dieses neue Berufsbild nachhaltig verankern zu können, muss den Trägern und Einrichtungen der direkte Nutzen dieser neuen Dienstleistung noch besser vermittelt werden.

Herr Immer, ich bedanke mich für das Interview.

Die Fragen stellte Miguel Tamayo.